Vom Flüchtling zur Fachkraft im Gastgewerbe: Die Erfolgsgeschichte von Saidou aus Gambia
„Ich war überglücklich und konnte es kaum glauben.“ – Mit diesen Worten beschreibt Saidou Fischer seine Gefühle, als er sein großes Ziel erreicht und die Prüfung zur „Fachkraft im Gastgewerbe“ bestanden hat. Dafür musste der Gambier viele Höhen und Tiefen durchleben, schaffte es aber dank seiner Ausdauer und seines Fleißes sowie des großen Engagements verschiedener Unterstützer, die ihn auf seinem Weg begleiteten.
Die Geschichte Saidou Fischers ist eine echte Erfolgsgeschichte. Ohne lesen und schreiben oder auch nur ein Wort Deutsch sprechen zu können, kam er 2014 in Deutschland an. Sein Vater im Gambia hatte ihm den Schulbesuch verwehrt und es gab massive Schwierigkeiten mit seiner Stiefmutter, sodass sich Saidou entschlossen hatte, seiner von Perspektivlosigkeit, Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Heimat den Rücken zu kehren. Nach einer Zwischenstation im Nachbarland Senegal gelangte er durch die Wüste nach Libyen und machte sich von dort aus auf den riskanten Weg nach Italien. Dass er die dreitägige Überfahrt überlebte, hatte Saidou großem Glück zu verdanken: Das Boot, auf dem er und die anderen Flüchtenden die überaus gefährliche Reise über das Mittelmeer angetreten hatten, leckte und sie mussten in ihrer Verzweiflung Tag und Nacht Wasser schöpfen, um dem drohenden Tod durch Ertrinken zu entkommen.
Nach der Ankunft in Europa verbrachte Saidou zunächst zwei Jahre in Italien und gelangte dann mit dem Zug von Mailand über Basel nach Karlsruhe. In Deutschland wurde er in die Flüchtlingsunterkunft Hangweide in Kernen geschickt und lernte 2015 über den dort ansässigen Arbeitskreis Asyl die pensionierte Buchhalterin Klara Fischer kennen, welche zunächst die Betreuung und 2016 die Patenschaft für Saidou übernahm. „Ich lernte Saidou als sehr aufmerksamen, höflichen, freundlichen und zuvorkommenden jungen Mann kennen. Er war von Beginn an immer sehr pflichtbewusst und es kam kein einziges Mal vor, dass er keine Lust oder keine Zeit hatte“, erzählt sie. „Beim Einzelunterricht mit ihm merkte ich aber bald, dass irgendetwas nicht stimmte.“ Saidou hatte seinen Analphabetismus aus Scham verschwiegen. „Saidou kannte nicht einmal eine Uhr. Das war das Erste, das wir ihm besorgt haben“, so Frau Fischer. „Er war danach immer pünktlich wie die Maurer“, lacht sie.
Die Bekanntschaft mit Frau Fischer sollte sich als großer Glücksfall in Saidous Leben erweisen. Frau Fischer und ihr Mann hatten selbst keine Kinder und durch den täglichen Umgang mit dem jungen Gambier schlossen sie ihn im Lauf der Zeit so sehr ins Herz, dass sie sich 2019 entschlossen, Saidou zu adoptieren. „Saidou ist schon ein richtiger Schwabe geworden“, erzählt Frau Fischer. „Ich habe ihm das Spätzleschaben beigebracht und jeden Sonntag kocht er für meinen Mann und mich.“
Seine Leidenschaft für das Essen wollte Saidou auch zu seinem Beruf machen. 2017 begann er eine Ausbildung als „Fachkraft im Gastgewerbe“ bei Frau Fischers ehemaligem Arbeitgeber, der Metzgerei Schäfer, die mit mehreren Filialen im Remstal und Umgebung vertreten ist. Den schulischen Teil seiner Ausbildung absolvierte Saidou in der Maria-Merian-Schule. „Wir durchlebten gemeinsam viele Höhen und Tiefen“, so seine Lehrerin Rita Richter, in deren Klasse Saidou kam, nachdem er trotz Förderunterricht die Grundstufe zunächst nicht bestanden hatte. „Mehrere Gespräche waren nötig, da Saidou mehrmals die Ausbildung abbrechen wollte und häufig weinend und verzweifelt vor mir saß.“ Als Geflüchteter aus Gambia hatte Saidou kein Bleiberecht in Deutschland und konnte daher nicht vor Beginn seiner Ausbildung an Alphabetisierungskursen teilnehmen, da diese alle durch Geflüchtete mit Bleiberecht belegt waren. Um seine Deutsch- und Fachkenntnisse zu verbessern, erhielt Saidou während seiner Schulzeit ehrenamtliche Nachhilfe von dem pensionierten Professor Lothar Schächterle sowie dem praktizierenden Arzt Dr. med. Siegfried Herschlein. Auch hierbei war Saidou nichts zu viel, versichern beide anerkennend. Aber trotz der tatkräftigen Unterstützung seiner Lehrerinnen und Lehrer sowie insbesondere seiner Klassenlehrerin musste Saidou 2020 eine herbe Niederlage hinnehmen: Er fiel bei der praktischen Prüfung zur „Fachkraft im Gastgewerbe“ durch. „Für Saidou brach eine Welt zusammen“, erzählt Frau Richter, „er wollte aufgeben.“ Doch sie ermutigte ihren Schützling dranzubleiben und Saidou hatte ein weiteres Mal Glück: Michael Oettinger, der im Hotel Hirsch in Fellbach das mit einem Michelin-Stern gekrönte „Oettingers Restaurant“ betreibt, erkannte das Potenzial des jungen Gambiers und bot ihm seine Unterstützung an. Sadiou wechselte in das Hotel Hirsch und unternahm 2021 einen weiteren Prüfungsanlauf. Im Juli dieses Jahres bestand er die praktische Prüfung, ist nun „Fachkraft im Gastgewerbe“ und erhielt einen Arbeitsvertrag im Hotel Hirsch. Seine Lehrerin Frau Richter freut sich mit Saidou über die bestandene Prüfung: „Heute haben wir einen strahlenden jungen Mann erlebt – was für eine mutmachende Geschichte!“
Text: Degen
Bilder: Richter, Fischer