Schreiben Sie immer über echte Personen?
Iris Lemanczyk liest aus Ihrem Jugendroman „Brennesselhaut“ und berichtet darüber, wie ein Buch entsteht.
Brennesselhaut – eine wahre Geschichte heißt Iris Lemanczyks Roman über die Geschichte der Roma-Familie Reinhardt aus Ravensburg. Der Protagonist Kajetan, seine Eltern und Geschwister werden während des Nationalsozialismus ausgegrenzt, in das Lager Ummenwinkel umgesiedelt, verfolgt – Kajetans Schwester Hildegard wird nach Auschwitz deportiert, überlebt aber den Völkermord.
Kajetans Freund Heiner, der ihm ebenso wie seine mutige Mutter anfangs noch beistehen kann, wird später als CDU-Politiker bekannt und einflussreich – es ist Heiner Geißler.
In der Klasse 2BFS2 war nun Iris Lemanzcyk zu Besuch. Sie las aus ihrem Roman, zeigte Fotos aus dem Ummenwinkel in Ravensburg und erzählte über ihre Recherchen. Insgesamt acht Jahre habe es gedauert, bis das Buch fertig war. In dieser Zeit hat Lemanzcyk auch Gespräche mit Kajetan, Hildegard und Heiner geführt und im Dokumentationszentrum Sinti und Roma in Heidelberg recherchiert.
Die Schülerinnen und Schüler der 2BFS2 lauschten aufmerksam der Vorleserin und stellten danach viele Fragen. Sie wollten es ganz genau wissen, wie es Kajetan und den anderen Personen damals ergangen ist. Was schon aus Zeitgründen nicht vorgelesen werden konnte, fragten sie nach. Ganz besonders berührt wurden sie durch Hildegards Schicksal, die in Auschwitz ein Kind verloren hat, nach ihrer Befreiung zu Fuß in ihre Heimat zurückgekehrt ist und später wieder eine Familie gegründet hat. Dass Lemanczyk mit dieser Hildegard und ihrer Familie selbst gesprochen hat, von der Atmosphäre des Gesprächs berichten konnte und auch von dem Vertrauen, das dabei entstand – das fesselte die Klasse und führte zu immer neuen Fragen.
„Schreiben Sie immer über echte Personen?“, wollten die Schülerinnen und Schüler wissen, denn dass die Geschichte von Kajetan, Hildegard und Heiner wahr war, sprach sie ganz besonders an. „Meistens“, lautete Lemanczyks Antwort, die neben Kinder- und Jugendbüchern auch zum Beispiel Reiseberichte für Erwachsene verfasst. Dass die Wahrheit dennoch gestaltet sei, damit ein spannender Roman entstehen könne, wurde auch deutlich.
Nach gut der ersten Schulstunde legte Lemanczyk Buch und Thema beiseite und kündigte an, nun noch über den Beruf einer Schriftstellerin sprechen zu wollen und darüber, wie ein Buch entsteht. Sie sprach über ihr eigenes Vorgehen der Recherche und des Schreibens, über die Arbeit der Lektorin, über das Verlagswesen. Auch darüber, wie man als Schriftstellerin finanziell über die Runden kommt. Diese Welt war für die meisten ganz neu.
Ob sie Iris Lemanzcyk in ihrer nächsten Klasse wieder einladen solle, fragte die Geschichtslehrerin Frau Klumpp die Schülerinnen und Schüler eine Woche später. Die Antworten: „auf jeden Fall“, „außerordentlich interessant“, „viele Sachen gelernt“, „sehr tolle Bücher, die einen zum Nachdenken bringen“, „es hat sich so angefühlt, als wäre man grade in dem Moment im Buch“. Und auch: „Es ist meiner Meinung nach zwingend notwendig, dass man über solche Themen Bescheid weiß und diese nicht unter den Teppich kehrt“. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht noch dieser Kommentar: „Sie war sehr nett.“
Die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen die Gedenkstätte Zeichen der Erinnerung am Stuttgarter Nordbahnhof. Von hier aus wurden die Württemberger Sinti und Roma und auch die Juden nach Auschwitz und zu anderen Orten der Vernichtung deportiert. Unter den 2600 Namen der deportierten Menschen findet sich auch Hildegard Reinhardt.
Die Lesung wurde vom Friedrich-Bödecker-Kreis großzügig unterstützt.
Text: Klumpp
Bilder: Andreas Forch (Gedenkstätte Nordbahnhof), Lara Rentz (Lesung)