Nach Waiblingen zu kommen: ein Wechselbad der Gefühle
Deutsch-französisches Projekt an der Maria-Merian-Schule
„Hierherzukommen löste diesmal ein Wechselbad der Gefühle aus“. Diesmal war der seidene Faden, an dem jede Schülerreise und erst recht jede internationale Schülerbegegnung hängen, besonders dünn – wenn auch völlig unerwartet. Seit drei Jahren schon schickt das Collège Victor Schoelcher in Ensisheim bei Colmar Schülerinnen und Schüler in Begleitung ihrer Lehrerinnen für ein Kochprojekt an die Maria-Merian-Schule. Die Rahmenbedingungen schienen günstig.
So konnte man von den Erfahrungen der Vorjahre profitieren. Die Fremdsprachenkenntnisse der Schüler sind auf beiden Seiten zwar nicht besonders ausgeprägt. Die Waiblinger Schüler aus der Zweijährigen Berufsfachschule Hauswirtschaft und Gastronomie durchlaufen gar nur einen winzigen Crashkurs Französisch. Gelingen kann die Kooperation aber im gemeinsamen praktischen Tun: in binationalen Teams Gemüse schneiden, Fleisch anbraten, Servietten falten, den Backofen im Auge behalten, anrichten, abspülen. Alle Rezepte und Anweisungen sind zweisprachig vorhanden und von Jahr zu Jahr werden mögliche Missverständnisse im Vorhinein ausgeräumt. Dennoch: In dieser Situation aufeinander zuzugehen, irgendwie (!) zu kommunizieren, die Scheu zu überwinden – das ist keine Kleinigkeit und setzt Neugier, ein offenes Wesen und gelegentlich auch ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz voraus. Der Faden, an dem alles hängt, könnte also doch noch reißen – tut er aber in aller Regel nicht.
Weitere günstige Voraussetzung: Die deutschen und die französischen Lehrerinnen sind mittlerweile ein vertrautes Team und haben einander erst kürzlich noch besser kennengelernt. Im Oktober reisten zwei Lehrerinnen und die Schulleiterin der Maria-Merian-Schule nach Ensisheim, um sich fortzubilden. „Job-Shadowing“ heißt das Stichwort, unter dem die Europäische Union Reisen von Lehrkräften an Schulen in einem anderen EU-Land finanziert. Die französischen Lehrerinnen öffneten ihr Klassenzimmer für die deutschen Kolleginnen, ließen sich über die Schulter schauen und diskutierten anschließend offen und partnerschaftlich über den Unterricht. So geht es in diesem Team schon lange sehr kollegial zu. Der Faden hält.
Die deutschen Schüler berichten im Vorfeld von Gerüchten. Man solle sich beim Gegenbesuch in Frankreich – dieser wird im kommenden März stattfinden – als Österreicher ausgeben, sei ihnen in ihrer alten Schule mal geraten worden. Die Deutschen hätten immer noch ein schlechtes Image. Wie seien wohl die Gäste ihnen gegenüber eingestellt? Die deutschen Lehrerinnen entkräften diese Gerüchte, berichten über eigene positive Erfahrungen und verweisen auf die nun bald 60 Jahre währende deutsch-französische Freundschaft, die sich nicht zuletzt aus zahllosen Städtepartnerschaften, Schülerbegegnungen und Ähnlichem speist. So ist auch von dieser Seite nicht zu befürchten, dass Schwierigkeiten auftauchen könnten.
Was löste das Wechselbad für die französische Lehrerin also aus? Montag: Der deutsche Bahnstreik – fährt der Zug am Mittwoch? Dienstagmorgen: Der Streik ist beendet – uff! Und dann der Dienstagabend: Der grauenvolle Anschlag auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt. Lassen die Eltern die Kinder nach Deutschland fahren? Erlaubt die französische Schulleitung die Reise? Ist die Grenze passierbar?
Mittwochnachmittag: Die Zuversicht hat sich durchgesetzt. Alle sind mitgekommen, die Fahrt verlief reibungslos. Das deutsch-französische Kochprojekt startet und wird gelingen.
Fotos mit den im Projekt gebackenen Christstollen und Karten mit einer Illustration von Maria Merian: Ingrid Klumpp
Foto mit zwei Spritztüten: Marie Ahle